Torsten Kubbe Naturführungen + Themenwanderungen
Torsten Kubbe                              Naturführungen + Themenwanderungen

Gedanken zum Wandern

Pfade

Sitze ich im Auto oder in der Bahn, fällt mein Blick auf die Landschaften abseits der Verkehrswege, auf Wälder und Wiesen, auf Hügel und Talebenen. Nicht zu sehen sind die Wege, die dort hindurchführen oder die Pfade, die man sich selbst schaffen muss. Was lebt in diesen Landschaften? Wo halten sich die Tiere auf, gerade auch die großen, die wir zumeist nicht sehen können? Wie verteilen sich eigentlich die rund 83 Millionen Einwohner, die nur in Deutschland leben, und warum ist in vielen ländlichen Gebieten immer noch „so viel Platz“ ohne irgendwelche Siedlungen? Alles Fragen, auf die ich mir während meiner Wanderungen zumindest teilweise Antworten erhoffe.

Wenn eine Tour beginnt, gilt die Aufmerksamkeit insbesondere der(den) ersten Stunde(n). Wo ist noch Stadt bzw. Dorf, wo beginnt der Siedlungsrand auf meinem Weg? Wie gestaltet sich dieser Übergang – stehen dort nur weniger Gebäude oder ist es z. B. ein gar „abrupter“ Wechsel in einen Wald? Wo sind es noch die üblichen Spazierwege der Einheimischen, und welche Entfernung ist in der Tat „weit genug“, um in die Einsamkeit einzutauchen, da die Strecke für den üblichen Spaziergänger zu groß wird? Ähnliches gilt bei touristischen Attraktionen in einer Landschaft und den Wanderparkplätzen – wo sind sie alle, ab wann wird es wieder ruhiger?

 

Jedoch auch der Weg selbst kann mich wunderbar anregen, umso mehr, je „geheimnisvoller“ er wirkt. Also nicht der langweilige, gut ausgebaute Forstweg, sondern z. B. ein spannender Hohlweg im Wald, wenn sich links und rechts die Böschung hochwölbt und man durch einen halboffenen Tunnel gehen muss. Wie alt mag dieser Weg sein, wer hat ihn angelegt? Wer ist hier schon alles gelaufen, welche Orte waren verbunden? War es ein Weg von wichtigen Kurieren, von Rittern, von Armeen? Welch glückliche und vielleicht auch brutale Ereignisse haben sich hier schon abgespielt? Die Abwesenheit von Zeichen der Zivilisation am Weg lädt zu herrlichen Gedankenspielen ein, dass dieser Weg an Ort und Stelle vor vielleicht fünfhundert Jahren bereits genauso aussah… angesichts der nahezu kompletten Abwesenheit von Wildnis (in Deutschland) sind es eben solche Elemente, die eine Wanderung abseits der Siedlung zu einem, wenn auch kleinen, „Abenteuer“ werden lassen.

Weitsicht (wird immer wichtiger)
Kein Mensch in Sicht

A  lleinsein

Die Publikationen der Wanderbewegung und die Statistiken betonen es immer wieder: Deutschland boomt förmlich als Wanderziel; angeblich wandert jeder zweite Deutsche regelmäßig in deutschen Landschaften. Mag schon sein – komisch nur, dass ich gar nicht so viele kenne, aus meinem Umfeld bestimmt nicht jede(r) Zweite. Das heißt: wo sind denn all` diese Leute, hier und jetzt? Egal, ob irgendwo im Landkreis von Stormarn oder auf einem der Premiumwege während der Sommerferien: stundenlang registriere ich die Abwesenheit von Homo Sapiens, ja, bei eher schlechtem Wetter kann es im Wald und im Feld vorkommen, dass ich auch auf den Wanderwegen den ganzen Tag niemanden zu Gesicht bekomme.

 

Immer wieder ist es für mich ein erhebendes Gefühl, diese Erfahrung nicht nur in der unendlichen Wildnis Kanadas zu machen, sondern auch in den Natur- bzw. Kulturlandschaften des dichtbesiedelten Landes in Europa. Jeder Wanderer kennt und schätzt diese besonderen Momente im Wald oder im Feld, wenn wirklich einmal nichts zu hören ist. Eine Kunst an sich, weit genug entfernt zu sein, dass kein Verkehrsrauschen und kein Motorenbrummen in der Luft zu vernehmen ist. Aber möglich ist es! Und vor allem ist es wichtiger denn je. Schließlich schlafen die Ohren niemals, sind immer auf Empfang. Ein Erbe aus jener Zeit, in der die Wahrnehmung eines Geräuschs während des Schlafes unsere Überlebensversicherung war. Vorgesehen war allerdings nicht, dass in der Zivilisation unsere Ohren niemals zur Ruhe kommen und dem Organismus dadurch permanent Stress entsteht. Es entspricht dem Zeitgeist, dass dem stressgebeutelten Mitbürger seit Jahren „Entschleunigung“ empfohlen wird und nicht wenige Anbieter auf dem Markt für ein Heidengeld entsprechende Seminare dafür anbieten. Dabei reicht auch der (regelmäßige) Griff zum Rucksack und der Besuch vieler ländlicher Räume in Deutschland, um für ein paar Tage die vielseits gesuchte Ruhe und Einsamkeit (und auch keinen Handyempfang) zu finden.

Wege, die (Wanders)mann liebt

R  eduktion

Betrachten wir einen Wanderer in heutiger Zeit. Mit Funktionskleidung und super Schuhwerk, mit einem maximal bequemen Rucksack, mit Trinksystem und allerlei digitalem Schnickschnack – von der Kamera zum Navi bis zur Smartwatch mit Schrittzähler. Der Deutsche ist gerne „overequipped“ unterwegs, passend dazu boomt seit Jahren die Outdoor-Industrie. So gut ein „Mehr an Technik“ das Wandern sicherlich komfortabler gemacht hat – genannt seien hier nur die enormen Fortschritte beim Regenschutz – in Sachen „Mehr an Ausrüstung“ an sich bleibt alles wie gehabt: schleppen muss der Wanderer alles selbst, wenn die Tour nicht mit Gepäcktransport organisiert ist.

 

Die Einfachheit, hier also das Reduzieren auf das ‘zu Fuß gehen‘ und das ‘Gepäck tragen‘ – auch das beschreibt durchaus eine Besonderheit des Wanderns. Angeblich sind wir ja alle immer noch Jäger und Sammler… das heißt wohl: zu viel „Fortschritt“ in viel zu kurzer Zeit oder zu viel Modernes bei viel zu wenig Evolution? Denn der Durchschnittsmensch der westlichen Welt läuft ja heutzutage nicht mehr als ca. 800 Meter am Tag – obwohl es doch eigentlich rund 15 Kilometer sein sollten… ein Hoch auf den Schrittzähler moderner Smartwatches! Wandern bedeutet unverändert, sich mit relativ engen Grenzen begnügen zu müssen. Die Fußstrecke mag sich in Abhängigkeit von Kondition und Kraft bei dem einen auf vielleicht 15 Km, bei dem anderen auf 40 Km oder gar mehr pro Tag beschränken – ein Witz im Vergleich sogar zum Fahrrad. Trotzdem überwiegt am Ende eines jeden Wandertages das gute Gefühl, jeden Meter, egal ob mühsam oder leicht, zu Fuß zurückgelegt zu haben.

 

Was beim Laufen die beschränkte Wegstrecke darstellt, ist beim Gepäckschleppen die Akzeptanz, Dinge des Alltags einfach einmal nicht mitzunehmen. Wie beim zu Fuß gehen, wird auch beim Rucksackpacken die relative Begrenztheit der Dinge spürbar: es gibt bei weitem nicht so viel Platz für Wegzehrung, Ersatzkleidung, Lesestoff oder „elektronisches Gedöns“, wie man es vielleicht vom Pauschalurlaub mit dem Reisekoffer gewohnt ist. Und wenn der Platz doch vorhanden ist, drängt sich die Frage auf, ob und wie lange man das Gewicht überhaupt tragen kann. Zumeist geistert hier die „magische 12 Kg-Grenze“ durch die Wanderforen. Dennoch muss sich jeder an die eigene Grenze herantasten; vielleicht lieber nach dem Motto: „so viel Gepäck wie nötig und so wenig wie möglich.“ Neigt sich unterwegs etwas dem Ende zu oder geht gar kaputt, kann es mitunter nicht schnell ersetzt werden. Ein sparsamer Umgang mit den Ressourcen und eine sorgfältige Behandlung der mitgeführten Ausrüstung sind die Lehrmeister einer jeden Geländetour. Gedankt wird dem Wanderer diese Form der Beschränkung mit der wunderbaren Erkenntnis, mit wie wenig man auch für mehrere Wochen auskommen kann und trotzdem (oder gerade deswegen) glücklich ist. Vielleicht kann uns das Wandern mit eigenem Gepäck die wirkliche Form von Freiheit aufzeigen – eben in der Kunst des Verzichts und nicht in der Möglichkeit, unbegrenzt und jederzeit zu konsumieren.

Wahrnehmung

Aufstehen – sich fertigmachen – Loslaufen – Pausen machen – Ankommen. Das ist es eigentlich auch schon. Mehr gibt es normalerweise nicht beim Wandern. Und die Zeit dazwischen? Die besteht m. E. darin, das Laufen nicht nur als notwendige Bewegungsart zum Zwecke des Fortkommens quasi nebenher zu betreiben; vielmehr begleitet das Laufen die Wahrnehmung des Tages und der Natur ganzheitlich. Voraussetzung dafür: man richtet die Aufmerksamkeit auch immer wieder auf den Vorgang des Gehens an sich, nämlich vor allem dann, wenn das Wandern beschwerdefrei vorangeht, also ohne permanente Erinnerung an etwaige Blessuren an Füßen und Körper.

 

Zum Beispiel könnte die Aufmerksamkeit immer wieder dem Bodenbelag geschuldet sein: wie läuft es sich auf Waldboden, wie auf dem Moor? Wie langsam wird das Tempo auf sandigen Wegen, wie stark behindern Matsch und große Pfützen? Ist es auf Asphalt belastender oder überwiegt das schnellere Schritttempo? Es sind solche Momente, die den Wandertag am Ende zu einem Erlebnis gemacht haben und zur Vermeidung der Frage, wo eigentlich der Tag und die Tour geblieben sind.

 

Ein erfolgreicher Wandertag kann nicht nur in der bloßen Bewältigung der Wegstrecke liegen; das Erlaufen der Distanz von Ort zu Ort wird zu mehr als bloßem „Kilometer-Abspulen“, wenn die zu durchlaufende Landschaft mit Wachheit und Achtsamkeit bestritten wird. Die Abwesenheit des Gewimmels der Stadt (Autos, Gebäude, Lichter, Schilder, …) und die überschaubare Geschwindigkeit beim Wandern bieten die Chance, sich die Dinge auf dem Weg einmal wirklich genau anschauen zu können. Das kann die Struktur eines Blütenkelches oder einer Baumrinde sein, das Schimmern eines Käferpanzers oder die filigranen Flügel einer Libelle. Auch der Hörsinn sollte beim Wandern geschärft werden. Das fängt bei den Windgeräuschen in den Zweigen der Bäume an und findet Vollendung darin, nur anhand von Geräuschen die Präsenz von Tieren richtig zuzuordnen. Was für eine Bereicherung es doch ist, durch die Wahrnehmung bloßer Lautäußerungen zu wissen, welcher Vogel in der Umgebung ist oder gerade ein Rehbock durchs Unterholz springt – auch ohne Sichtung dieser Tiere. Komplett wird das Sinnesabenteuer, wenn auch das Riechorgan mal wieder etwas (Positives) zu tun bekommt: keine Abgase, kein Feinstaub, sondern stattdessen: der Geruch von Erde, von würziger Waldluft oder vermoderndem Holz, von duftenden Blüten und der Frische nach einem Regenschauer… 

Echte Farben - am liebsten natur
Der Hainich in Thüringen (= große Badewanne)

Weisheiten

In Zeiten, da es alles bereits schon einmal gab, müssen vielleicht auch die Alltäglichkeiten zu etwas Besonderem „gehypt“ werden. Ein noch nicht allzu neuer Trend: das „Waldbaden“ oder, weil aus Japan stammend, „shinrin yoku“. Was unsere Altvorderen längst wussten und machten, kann der zivilisationsgestresste Städter heute gegen eine mehr oder weniger geringe Gebühr unter Anweisung erleben: im Wald spazieren gehen, achtsam atmen und die Natur wahrnehmen. Etwas überspitzt formuliert, muss man manche Menschen heutzutage dazu zwingen, Geld auszugeben, um sich mittels relativ selbstverständlicher Handlungen gesundheitlich zu fördern. Positiv hervorzuheben in diesem Sinn ist allerdings der Stand der Forschung, denn durch Messungen, Blutuntersuchungen etc. konnte mittlerweile der wissenschaftliche Beweis erbracht werden, dass Aufenthalte in der Natur, vorzugsweise im Wald, tatsächlich gesundheitsfördernd wirken.

 

Vereinfacht dargestellt wirken sich u. a. die zahlreichen Botenstoffe, die die Pflanzen in die Luft entlassen, positiv auf das Immunsystem des Menschen aus – die Anzahl der Fresszellen im Blut steigt, Stresshormone reduzieren sich, der Blutdruck sinkt, und auch der Tendenz zu allergischen Reaktionen gegenüber Pollenstaub u. ä. wird entgegen gewirkt. Damit auch hier ein Plädoyer für das Wandern! Mindestens sechzig Prozent der Deutschen sind übergewichtig; die meisten Menschen können keine 2,5 Stunden wöchentlich aufwenden, um sich sportlich zu betätigen. Von Stressreaktionen und geschwächten Immunsystemen ganz zu schweigen. Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass es sich beim Wandern um eine eher risikoarme Sportart handelt. Gleichwohl bewirkt auch das langsame oder flottere Gehen über eine größere Distanz und längere Zeit einen positiven Effekt bezüglich der Kondition und Kraftausdauer, was ebenfalls bewiesen ist. Es deutet einiges darauf hin, dass die Kombination der „beiden W `s“ – Wandern + Waldbaden – schon eine gute Gesundheitsformel bildet.

Ein herausragendes Wanderziel: Basteibrücke in der Sächsischen Schweiz
Sich mal treiben lassen...stundenlang. Tagelang

B  eruhigen

Der Mensch ist wohl ein Grübler. Wer sich da nicht sicher ist, versucht einmal, sich selbst in eine „meditative Stimmung“ zu versetzen und in dieser Zeit an nichts zu denken… wahrscheinlich wird die Mehrheit nach kurzer Zeit feststellen, dass sich die diversen Gedankengänge nicht so ohne weiteres aussperren lassen und immer wieder auftauchen. In der schlimmsten Form mündet das ständige Grübeln in vielen schlaflosen Nächten und schlechter Gesundheit. Egal, ob ich nur wenige Stunden am Nachmittag unterwegs bin oder eine mehrtägige Streckenwanderung mache – immer wieder bin ich erstaunt, wie schnell der Kopf sprichwörtlich frei wird und dieses wirklich keine vielzitierte, hohle Phrase ist. Nach einigen Stunden Wegstrecke, irgendwann, kommt es mir in den Sinn, den Gedanken der vergangenen Stunden nachzuhängen. Immer wieder bin ich dann auf`s Neue erstaunt, dass da nichts ist, dem es nach zu spüren gilt.

 

Die gleichmäßige Bewegung, der Blick in die Umgebung und die Konzentration auf etwaige „Ereignisse“ (was einfach auch nur eine am Wegesrand stehende Pflanze sein kann) reichen aus, um das Grübeln ebenfalls eine Zeit lang in den Urlaub zu schicken. Nun kann man behaupten, dieser Zustand stellt sich bei jeder Tätigkeit ein, der man konzentriert und aufmerksam nachgeht. Das Besondere am Wandern mag vielleicht schlichtweg in seiner Einfachheit liegen: das Gehen als generell unkomplizierter Bewegungsablauf, die Langsamkeit des Vorankommens sowie die zumeist unproblematische Wegstrecke ermöglichen eine maximale Aufmerksamkeitsspanne für die Umgebung, wodurch es im Prinzip unmöglich wird, sich den Einwirkungen der Natur widersetzen zu können. Wer weiß, vielleicht mussten unsere Vorfahren auf der Jagd nach Nahrung oder der Vermeidung gefährlicher Situationen so aufmerksam durch die Natur streifen, dass im Kopf gar kein Raum für`s Grübeln blieb? Wahrscheinlich hatten die Menschen in der Steinzeit auch gar nicht so viele Anlässe dazu… freuen wir uns einfach über die Tatsache, wenn wir beim Wandern in heutiger Zeit feststellen können, dass unsere Gedanken ebenfalls für eine Weile auf Wanderschaft sind, halt nur auf einer anderen, als wir.   <

Rausgehen und Bewegen, Entdecken und Erleben!

 

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